…oder „Wie die Korrektur eines Übersetzungsfehlers Tierleid reduzieren kann“. In unserem Blog „Terminologie effizient managen – für alle Sprachen“ haben wir berichtet, wie wichtig eine fundierte Terminologiearbeit für die Qualität von Ausgangs- und Zieltext ist. Ein aktuelles Beispiel illustriert dies auf eher ungewöhnliche Art und Weise.
Macht der Terminologie
Es geht um die EU-Schweinehaltungsrichtlinie (2008/120/EG), die im Original auf Englisch vorliegt und in die europäischen Sprachen übersetzt wurde. Dort ist im englischen Ausgangstext die Rede von „a lying area physically and thermally comfortable“, im Französischen heißt es „confortable“. Die deutsche Übersetzung hingegen lautete jahrelang: „Zugang zu einem größen- und temperaturmäßig angemessenem Liegebereich“. Es ist einigermaßen offensichtlich, dass die Bedeutung von „comfortable“ durch „angemessen“ keineswegs äquivalent abgebildet ist, insbesondere in diesem Kontext.
Aufgefallen ist der Unterschied in den verschiedenen Sprachen im Jahre 2015, als sich Mitarbeiter der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt mit englischen und französischen Kollegen über die Bedingungen der Schweinehaltung austauschten. Die britischen Tierrechtler beharrten darauf, dass die Vollspaltenböden nicht mit der EU-Richtlinie vereinbar seien, da die Betonböden mit durchgehenden Spalten alles andere als komfortabel für die Tiere seien, sondern im Gegenteil zu Gelenkerkrankungen und Verletzungen führen können. Die deutschen Mitarbeiter konnten diese Aussage anhand der EU-Richtlinie nicht bestätigen, recherchierten und stießen schnell auf das Problem.
Berichtigung einer EU-Richtlinie
Nach einer Beschwerde bei der EU-Tierschutz-Komission wurde der Fehler korrigiert. Nun heißt es: „Zugang zu einem physisch und temperaturmäßig angenehmen Liegebereich“ (man beachte hier auch die geänderte Übersetzung des Adjektivs „physical“). Mit diesen terminologischen Anpassungen hat die Tierschutzstiftung nun ganz neue Möglichkeiten, für eine bessere Tierhaltung zu kämpfen.
Abbildung: Berichtigung der Richtlinie 2008/120/EG (Bildquelle: http://eur-lex.europa.eu)
Fazit
Was lernen wir Sprachwissenschaftler aus diesem Fall?
1. Die Verwendung der korrekten Terminologie ist von immenser Bedeutung. Im Idealfall sollte die Terminologie schon vor der Übersetzung von ausgebildeten Terminologen festgelegt werden. In anderen Fachbereichen mag „comfortable“ kein „termwürdiges“ Fachwort sein, doch im Kontext der Tierhaltung handelt es sich offensichtlich um einen sehr wichtigen Term.
2. Bei der Übersetzung sollte immer besonderes Augenmerk auf den Kontext gelegt werden. Mag in anderen Kontexten „angemessen“ eine äquivalente Übersetzung für „comfortable“ darstellen, so besteht im Bereich der Tierhaltung doch ein großer Unterschied zwischen „angenehm“ und „angemessen“
3. Sprache ist Macht! Ein einziges Wort könnte bald für einen Umbruch in der Tierhaltung sorgen. Gerade deswegen spielen die Qualitätssicherung von Ausgangs- und Zieltext sowie eine gewissenhafte Terminologiearbeit eine derart bedeutende Rolle!